Unser „Wengert“ – Wie er entstand – Es muss 2 oder 3 Jahre nach dem Kriegsende gewesen sein, als wir im „Unteren Berg“ein etwa 10 ar großes Grundstück hatten. Wie alle Grundstücke in diesem Gewann lag auch unseres mit seiner oberen Hälfte an seinem steilsten Teil, für die intensive Sonneneinstrahlung ideal.
Wie mein Vater zu diesem verwilderten Wiesenstück mit 2 Obstbäumen in der Mitte gekommen ist, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall war klar, dass er darauf einen Weinberg anlegen wollte. Tagelang mühten wir uns, die Fläche von Dornensträuchern und anderem Wildwuchs zu befreien. Im darauf folgenden Frühjahr war es dann soweit: Das „Neigreit“ konnte angelegt werden. Da diese harte Arbeit von einem einzelnen Menschen nicht bewerkstelligt werden konnte – ich wäre mit meinen 9 oder 10 Jahren überhaupt keine Hilfe gewesen – schaut sich Karl nach Hilfe um und fand sie im „Athlet“. Dies war der treffende Spitznamen unseres Nachbarn Kolb. Ich weiß nicht mehr, wie viele Tage sie im „Unteren Berg“ verbrachten; ich weiß nur noch, wie sie abends erschöpft und halb erfroren am Tisch in unserer Küche saßen, und wir feststellen mussten, dass der „Athlet“ nicht nur bei Schwerstarbeit seinen Mann stand, sondern auch darin einsame Spitze war, wenn es galt, die Vorräte unserer Räucherkammer beträchtlich zu reduzieren. Er hatte es sich aber allemal redlich verdient. Was genau taten die beiden? Während heute beim Anlegen eines neuen Weinberges modernste GPS-Technik zum Einsatz kommt, ging es im „Unteren Berg“ primitiver zu; das Ergebnis konnte sich aber sehen lassen. Mit langen Schnüren, einem Meterstab und kleinen, etwa 30 cm langen Holzlatten wurden zunächst die Stellen markiert, wo später die Löcher für die Rebstöcke gegraben werden mussten. Dabei mussten sie genau darauf achten, dass die Stöcke später exakt „in der Flucht“ stehen und die 7 Reihen auch präzise parallel den Hang hinauf verlaufen würden. Diese Arbeit nahm einige Tage in Anspruch, war aber weniger anstrengend. Was dann kam, war härteste Knochenarbeit. Mit Spaten und Pickel mussten die vielen, etwa 80 cm tiefen Löcher aus dem zähen und harten, teilweise noch gefrorenen Boden praktisch „herausgepökelt“ werden. Viele Tage dauerte diese alle Kräfte beanspruchende Plackerei. Im Frühjahr wurden dann die Rebstöcke, die Holzpfosten, viele Drahtrollen und Hunderte von Grampen gekauft und mit Hilfe von Gustavs Kuhgespann an den Fuß des Hangs geschafft; wie viele Fahrten dazu notwendig waren, weiß ich nicht mehr. Weitere Wochen später war der „Wengert“ fertig. Die Rebstöcke standen in Reih und Glied, waren an die zwischen den Pfosten gespannten Drähte angebunden und zeigten bald die ersten Triebe. Kein Mensch im Dorf fand die Arbeit dieser 2 Männer besonders erwähnenswert, aber für mich zeugt sie heute noch als Sinnbild von Durchsetzungsfähigkeit, Zähigkeit und eisernem Willen. 2-3 Jahren mussten alle noch warten, bis die ersten Trauben herangereift waren. Als der Wengert später voll „im Betrieb“ war, erbrachte die Lese – sie war immer ein festliches Erlebnis - im Herbst etwa 1000 Liter Wein, und wir taten das Jahr über alles, dass im nächsten Herbst die Fässer für die neue Ernte wieder bereit waren.
- Arbeiten im „Wengert“ - Nur ein paar Wochen im Winter beanspruchte ein Weinberg seine Besitzer nicht. Schon im Februar begann der Jahresreigen der Arbeite rund um die Reben. Sie mussten zurückgeschnitten und dann wieder an die Drähte angebunden werden. Nach den ersten Regenfällen wurde der Boden mit dem Karst tief umgegraben; im Jahresverlauf wurde er dann mehrmals mit der Harke aufgelockert. Eine wichtige Arbeit war das Spritzen gegen Schädlingen. In den ersten Jahren war es ein sehr mühsames Geschäft, denn das dafür notwendige Wasser mussten wir von zuhause mit Eimern und Bottichen mit dem Ziehwagen die 2 km zum „Unteren Berg“ hinauf transportieren; die Verluste unterwegs waren enorm.Erst an Ort und Stelle wurden die Chemikalien durch heftiges Rühren mit dem Wasser vermischt. Mit dem manuell zu bedienenden „Spritzbutten“ stapfte mein Vater durch die Reihen und sprühte die Giftbrühe auf die Blätter. Ich musste ihm in 2 Eimern die Brühe zum Nachfüllen hinterhertragen. Pech für mich war es immer, wenn der „Spritzbutten“ oben auf dem Berg leer geworden war, denn dann hieß es, die nahezu 20 Kilo Spritzbrühe den steilen Hang nach oben zu schleppen. - Wengerthäuschen - Ein paar Jahre später wurde es leichter für uns. Auf dem Küchentisch entwarf er den Plan eines „Wengerthäuschens“. Akribisch zeichnete er die Seitenwände, das Dach und vergaß auch nicht, an der späteren Südseite die Türe einzupassen. Wichtig waren auch die 2 Dachtraufen, um das Regenwasser einzusammeln, denn dies ersparte uns die Mühen, die mit dem Wassertransport verbunden gewesen waren. Immer wieder verließ er die Küche und überprüfte seine fiktiven Maße auf ihre spätere Brauchbarkeit. Als er mit seiner Arbeit fertig und zufrieden war, ging er zum „Schreinerweiß“ rüber, bestellte die notwendigen Bretter und ließ sie sich vor dem Abholen gleich zuschneiden. Im Hof wurde das Häuschen dann komplett aufgebaut; auch das Dach und die Traufen wurden angebracht. Für die 4 Eckpfosten goss er sich mit Hilfe von 4 alten Eimern die Betonklötze, die sie später aufnehmen sollten. Bevor er sein Wunderwerk wieder in seine Einzelteile zerlegte, nummerierte und kennzeichnete er sie mit Zahlen und schwarzen Farbmarkierungen. Eines Tages machte ich mich früh morgens zu meinem bekannten und gewohnten Gang zum „Augustonkel“, holte das Kuhgespann aus dem Stall, spannte es vor den Wagen und trabte mit ihnen durch das Dorf zum Haus in der Neuen Bahnhofstraße mit der Nummer 7. Als das Häuschen auf dem Wagen verstaut war, machten wir uns auf den Weg zum „Unteren Berg“. Sinnvoll und ökonomisch wäre es gewesen, die Hütte in der geografischen Mitte des Weinbergs aufzustellen, denn dies hätte die Laufwege beim Spritzen halbiert. Warum er es aber ganz oben aufbaute, weiß ich nicht. Möglicherweise wäre es ihm zu mühsam gewesen, alles in die Mitte hinauf- bzw. hinunterzuschaffen. So mühten sich die 2 Kühe mit ihrer Last den „Viehtriebweg“ hinauf, so dass wir ganz oben die Teile abladen konnten. Also thronte sein Werk am späten Nachmittag in dieser luftigen Höhe. Nahtlos hatte alles gepasst. Die 2 Dachtraufen endeten innen und sollten kommendes Regenwasser in 2 beim "Burgahn“ erstandene Plastikfässer leiten. Eine weitere Erleichterung sollte später der Kauf einer bezinbetriebenen Spritze bringen; durch sie wurden meine Laufwege stark eingeschränkt und brachte so eine große Erleichterung. - Vom „Wengert“ auf den Tisch - Wie bereits kurz erwähnt, war der Höhepunkt im Jahresreigen eines „Wengerters“ die Traubenernte, die Lese. Bereits Wochen vorher wurden die Bütten und die Fässer überprüft und gereinigt, wobei vor allem die Säuberung der Fässer eine recht mühsame und aufwändige Arbeit war. Wir hatten 4 Fässer mit insgesamt 1000 Liter Fassungsvermögen. Sie mussten zunächst einzeln den schmalen und relativ steilen Kellergang heraufgeschafft werden, bevor dann mit einem Spezialhammer die oberen 3 Eisenreifen entfernt werden konnten. Nachdem dann das Fass von restlicher Flüssigkeit und gröberen Weinsteinbrocken befreit worden war, musste ich meiner Rolle als „Fasskriecher“ gerecht werden. Ich kroch also in das Fass und schrubbte mit einer harten Bürste den Boden und die Innenwände sauber. Anschließend platzierte mein Vater getrocknete Schilfbahnen zwischen die einzelnen Bretter („Dauben“), stülpte nacheinander die einzelnen Eisenbänder wieder drüber und hieb sie mit kräftigen Schlägen mit dem Spezialhammer (er hatte längs eine schmale Kerbe) fest. Zum Schluss wurde wiederum der Deckel eingepasst; auch hierbei durfte das Schilf nicht vergessen werden. Beendet wurde die Arbeit an den Fässern, indem 30 bis 40 cm lange „Schwefelschlutten“ angezündet und in sie hineingehängt wurden; ich vermute, sie sollten die Fässer desinfizieren. Als der große Tag dann gekommen war, wurde die große Bütte, der Tragebutten, Eimer, Messer und Scheren sowie allerhand Kleinkram auf den Leiterwagen des Kuhgespanns verladen und hinunter ging`s dann zum „Unteren Berg“. Vor allem bei schönem Wetter herrschte bereits morgens eine aufgeheiterte, lustige und fröhliche Stimmung. Die Schnitterinnen und Schnitter wurden dann auf die einzelnen Reihen verteilt; die abgeschnittenen Trauben warfen sie in ihre mitgeführten Eimer und die wiederum kippten sie, wenn sie voll waren, in den Tragebutten, den mein Vater dann bei Bedarf in die große Bütte auf dem Leiterwagen ausschüttete. Bei jedem Butten, den er ablud, schnitzte er eine Kerbe in seinen mitgeführten Stock; so ließen sich die Erträge der einzelnen Jahre gut vergleichen. Um die Mittagszeit sammelte ich Holz und entfachte ein kleines Feuer, auf dem dann die Fleischwürste heiß gemacht wurden, so dass sich wenig später alle im Kreis darum versammelten und sich ihr einfaches Mahl schmecken ließen. Am frühen Nachmittag war alles beendet, und wir machten uns auf den Heimweg, allerdings nicht, bevor ich zuvor noch ein kleines Bündel Akazienäste sammeln musste, das später in der großen Bütte Verwendung finden sollte. Zuhause wurde das Fuhrwerk in den hinteren Hof bugsiert, wo bereits die große Bütte mit der Raspel vorbereitet war. Mein Vater schüttete dann den Inhalt der Bütte auf dem Fuhrwerk Eimer für Eimer in die Raspel, deren Kurbel wir bedienen mussten, was nicht einfach war. Gegen Abend hatte sich all die schöne Traubenpracht in eine glitschige Masse aus Traubenkämmen und süßem Saft verwandelt; meistens war die Bütte randvoll (1000 Liter). Bei warmem Wetter begann der Gärvorgang sofort und dauerte dann etwa 1 bis 2 Wochen; die Maische musste ich jeden Tag einige Male mit einer Harke umwälzen. Die Bütte stand etwas erhöht auf 4 Keilen, so dass man nach etwas 2 Wochen den Spunten entfernen konnte. Der herausströmende Wein wurde in Eimern aufgefangen, in den Keller hinuntergetragen und über den aufgesetzten Holztrichter in die jeweiligen Fässer geschüttet. Dort vergor er vollends, bis dann im Frühjahr wieder eine harte Arbeit auf Erledigung wartete: Der Wein musste abgelassen, die Fässer aus dem Keller geholt und gereinigt werden, bevor dann der Wein wiederum in sie abgefüllt werden konnte. - Most - Neben den 1000 Liter Wein, die wir pro Jahr produzierten und verbrauchten, mussten wir ja auch noch unsere zahlreichen Äpfel-und Birnenbäume abgeerntet werden. Sie lieferten ebenfalls etwa 1000 Liter Flüssigkeit, in diesem Fall eben Most. Das Obst brachten wir nach Schütteln, Zusammenlesen und Einbringen in Säcke zu einem der drei Nachbarn, die die entsprechenden Geräte zur Verarbeitung besaßen und gegen ein geringes Entgelt zur Verfügung stellten. Meistens mahlten und pressten wir beim Eigenmann, 4 Häuser südlich von uns. Im Gegensatz zur Obstmühle, die elektrisch angetrieben wurde, musste die Saftpresse manuell bedient werden.
Sie wurde in mehreren Lagen mit dem Mahlbrei befüllt und dann an einem langen Hebel bedient. Der herausgepresste Saft wurde in einem Bottich aufgefangen. Aus ihm schöpfte ich dann den Saft eimerweise in ein ca. 50-Literfässchen, das im Ziehwagen lag. Wenn es gefüllt war, zog ich die Fuhre nach Hause und trug den Süßmost wiederum eimerweise in den Keller, wo die Fässer bereits darauf warteten, mit ihm befüllt zu werden. Nach ein paar Wochen war der Saft zu Most vergoren. Beim Lesen des Vorangegangenen kann schon ein leichter Verdacht entstehen, dass es sich bei den damalig Handelnden doch um mehr oder minder schwere Fälle von Alkoholiker handeln könnte; eine Familie mit zwei Erwachsenen und vier minderjährigen Kindern verputzt jährlich 1000 Liter Wein und 1000 Liter Most. Das ist doch schon allerhand. Dieses Ansinnen bedarf strikten und vehementen Widerspruchs. Warum? Die Menschen damals haben beträchtlich Alkoholmengen zu sich genommen, aber sie haben auch körperlich hart gearbeitet; heute findet sich in vielen Fällen nur das Erste. Dann gab es damals neben Wein und Most nur noch Wasser als genießbare Flüssigkeit, und bei den Arbeiten auf den Feldern und im Weinberg waren oft viele Menschen beteiligt; vielfach wurden Wein und Most mit glasklarem Wasser, das man den überall sprudelnden Quellen entnahm, vermischt, so dass es von jedem genossen werden konnte. Erst in den frühen 60-er Jahren tauchten Bier, Mineralwasser und weitere Getränke auf. Das Bier der Weigert-Bräu, das es schon bald nach Kriegsende gab, konnte man sich anfangs nicht leisten. |