- Winter – Dieser Begriff hat für uns heute seine eigentliche Bedeutung verloren; die letzten Jahre haben wir hier nahezu all dies nicht mehr erlebt, was sein Wesen und seine vielfältigen Erscheinungsformen ausmachen. Die Winter in den Kriegsjahren und bis 1950 müssen teilweise sehr schlimm gewesen sein; ich erinnere mich noch gut an die extremen Winter 1944/45 und 1947/48, vor allem an letzteren. Warum litten wir alle unter der Kälte? Da war zum einen der Zustand der Häuser, und zum anderen lag es an unserer Kleidung. In der Regel war der einzige beheizbarme Raum die Küche, wo ein Herd Koch- und gleichzeitig die Heizfunktion übernehmen musste. Er durfte bis spät abends nie ausgehen. Gefüttert wurde er mit Holz und Kohlen; zwischenzeitlich wurde das Feuer mit Briketts am Leben erhalten. Das Holz lieferten uns alte Bäume, manchmal wurde auch ein oder mehrere Ster dazu gekauft. Später erschien dann der "Holzsäger" mit seiner Maschine und zerschnittalles in handliche Zylinder; das anschließende Zerkleinern mit Axt und Beil oblag dann mir. Mit Hilfe einer von Vater gebastelten Zugvorrichtung hievten wir dann den gesamten Stapel an der Hauswand hoch in den Speicher. Die im Frühjahr beim Rebschnitt angefallenen Reben hatten wir gebündelt nach Hause transportiert und auf dem Schopfen verstaut. Sie wurden zum Anzünden verwendet. Die Kohlen mussten wir vor dem Winter in der Nähe der Güterhalle abholen. Der „Kohlen-Mayer“ schippte sie aus dem Eisenbahnwaggon, und wir mussten sie in die bereitgestellte Waage verladen. Wenn der Zeiger die Zentnermarke (50 kg) erreicht hatte, musste ich den Kohlensack an die Öffnung halten, und mein Vater kippte die schwarze und staubige Pracht hinein. Drei Säcke konnten wir auf unserem Handwagen verstauen, dann keuchten wir mit der Kohlenfracht den „Bahnhofsbuckel“ hinauf und trugen unsere Schätze in den Keller. Etwa 10 Zentner pro Winter bekamen die „Eisenbahnler“ von ihrem Arbeitgeber zu etwas reduziertem Preis. Die anderen Räume in unserem Haus konnten nicht beheizt werden; jeden Morgen waren so alle Fenster mit dicken Eisblumen bedeckt. Es waren phantastische Kunstwerke, auf die wir aber gerne verzichtet hätten. Brutal wurde es natürlich abends, wenn wir in unser Schlafzimmer gehen mussten. Mutter half uns manchmal, indem sie Backsteine im Backofen des Herdes aufwärmte, sie dann mit Tüchern umwickelte und uns dann mit ins Bett gab. Da die Häuser nicht isoliert waren, froren manchmal die Wasserleitungen ein, und wenn sie unsachgemäß aufgetaut wurden, platzten sie oft; dann half nur noch eines: runter in den Keller und den Zentralhahn zudrehen. Für eine Weile gab es dann eben im ganzen Haus kein Wasser mehr. Da es auch noch keine Kanalisation gab, floss alles Wasser aus Küche, aus den Dachrinnen, aus sonstigen Räumen und den Ställen am Hausrand entlang hinaus in die Straßenrinne. Mit Beil und Axt mussten die Wege morgens erst frei gehackt werden. In manchen Jahren lähmten auch Unmassen von Schnee das Dorf und blockierten nahezu jedes Fortkommen, so dass tagsüber ein von vier Pferden gezogener Schneepflug durch die Dorfstraßen gezogen wurde und die Straßenmitte einigermaßen frei pflügte. Die nach Kriegsende drei bis vier Autos, die es im Dorf gab, hatten lange ihre Ruhe. Ich kann mich noch gut erinnern, wie an manchen Morgen Vater mit Schippe und Besen einen schmalen Pfad zum Stall hinüber freischaufeln musste, um Hühner und Schweine füttern zu können. Damit wir Kinder überhaupt zur Schule rübergehen konnten, mussten uns die Männer vorher auf der Straßenmitte ebensolche Gassen schaffen. Einen Nebeneffekt der damals noch nicht vorhandenen Kanalisation nutzten wir Buben weidlich aus, denn die im ganzen Dorf dick mit Eis bedeckten „Straßenrinnen“ waren ideale Schlittschuhbahnen; überall im Dorf sausten wir auf ihnen herum. Ebenso tummelten wir uns mit unseren „Absatzreißern“ auf den dicken Eisflächen der "Bombentrichter“, einem Überbleibsel der Angriffe der amerikanischen Flugzeuge auf Munitionszüge. In jeder freien Minute bewegten wir auch unsere Schlitten, einzeln und manchmal im Pulk. Der „Bahnhofsbuckel“ war sehr beliebt, weil nahe; gefahren wurde aber auch am "Dufbuckel“ am östlichen Ende der Friedrichstraße. Außerhalb des Dorfes trieben wir unsere Schlitten über die Hänge am „Unteren Berg“, dem „Rietbuckel“ und vor allem über die verschiedenen Abfahrtsmöglichen, welche die Ravensburg bot. Das „Steile Dach“ in der Nähe des Schießstandes blieb den Könnern vorbehalten. Um 1952 muss es gewesen sein, als wir uns aus Fassdauben zum ersten Mal primitive Skier zusammenbastelten und mit Hilfe von Weinbergpfählen die Hänge hinunterrutschten. Als das für uns tollste „Nebenprodukt“ der strengen Winter empfanden wir die immer wieder verordneten „Kohlenferien“; sie genossen wir wirklich im Schnee und auf dem Eis. Bei vielen fehlte es auch an schützender Kleidung und vor allem an brauchbaren Schuhen. Zu kaufen gab es nicht viel bzw. man konnte es sich nicht leisten, warme Wintersachen zu kaufen (einer Nachbarsfamilie mit sechs Kindern standen nur zwei Paar Schuhe zur Verfügung). Stricksachen mussten als Ersatz herhalten; sie genügten auch in der Regel, aber eines dieser Utensilien hasste ich wie die Pest. Da unsere langen Hosen zu dünn waren, mussten wir darunter gestrickte Strümpfe anziehen. Noch heute überspült mich ein Grausen, wenn ich nur daran denke, wie ich morgens kurz vor sechs Uhr - der Zug nach Eppingen fuhr um 6.30 Uhr ab - auf der Eckbank saß und diese Strümpfe millimeterweise hochzog, wieder nach unten stieß und doch irgendwann weitermachen musste. Befestigt wurden sie dann am Oberschenkel mit Gummibändern, die man normalerweise bei den Einmachgläsern verwendete; den Mädchen half eine Art von Strapsen. Wenn es wieder richtig kalt geworden war, teilten Arbeiter auf den Wiesen neben dem Kohlbach Richtung Zaisenhausen mit etwa 50 cm hohen Brettern vier jeweils 20x20 m große Flächen ab, die sie mit dem Wasser des umgeleiteten Kohlbaches auffüllten. Nach einigen Tagen wurde das entstandene Eis mit Stichsägen herausgeschnitten und in etwa 20x20x100 cm großen Quadern auf mit Stroh ausgelegten Bauernwagen abtransportiert. Der größte Teil davon wurde in die relativ kalten Keller bei Herrn Rückel in der Weigert-Brauerei verfrachtet und kühlte bis in den späten Sommer seinen Gerstensaft. Wenn er etwas davon entbehren konnte, holten sich auch manche Kaufleute ab und zu einen Eisbarren; unsere Nachbarin, Frau Kunzmann - sie betrieb einen kleinen Kolonialwarenladen - schickte mich auch manchmal mit unserem Leiterwagen zum Rückel runter, um einen der Barren zu holen. Sie zerstückelte ihn dann und schüttete die Eisbrocken in eine Metallwanne, in der sie verderbliche Waren aufbewahrte. So hart es damals war, den langen und anstrengenden Wintern ihre Freuden abzutrotzen, umso so intensiver haften diese Erlebnisse bis heute; und heute, wo wir sie genussvoller gestalten könnten, gibt es sie nicht mehr. Paradoxe Welt. |